Der Net Asset Value (NAV) hat sich inzwischen auch in Deutschland bei der Bewertung von vermögensverwaltenden Gesellschaften bzw. Immobiliengesellschaften etabliert. In mehreren Beschlüssen von Landgerichten und Oberlandesgerichten im Rahmen von aktienrechtlichen Strukturmaßnahmen wurde der NAV als Bewertungsmethode für vermögensverwaltende Gesellschaften anerkannt. In der deutschen Literatur gibt es bislang wenige Beiträge zum NAV. Andreas Creutzmann hat sich in einem Aufsatz mit den Besonderheiten beim Net Asset Value auseinandergesetzt und in der Zeitschrift BewertungsPraktiker, 3/2017, S. 74-79, veröffentlicht.
Für eine vermögensverwaltende Gesellschaft ist es charakteristisch, dass sie sowohl regelmäßig wiederkehrende (Zins-, Dividenden- und Mieterträge, etc.) als auch einmalige Erträge (Veräußerungsgewinne bzw. -verluste) aus unterschiedlichen Anlageformen erzielt. Die Ergebnisse einer vermögensverwaltenden Gesellschaft resultieren typischerweise im Wesentlichen aus Erträgen und Aufwendungen im Zusammenhang mit folgenden Kapitalanlagen:
– Unbebaute und bebaute Grundstücke (Immobilien);
– Wertpapiere (Aktien und festverzinsliche Anleihen);
– Beteiligungen;
– Derivative Finanzinstrumente.
Eine vermögensverwaltende Gesellschaft könnte auch auf Basis einer Gesamtbewertungsmethode (Ertragswertverfahren/DCF-Verfahren) bewertet werden. Der Wert eines operativ tätigen Unternehmens wird typischerweise nicht durch die isolierten Werte der einzelnen Bestandteile des Vermögens und der Schulden bestimmt, sondern durch das Zusammenwirken von materiellen und immateriellen Werten. Bei einer Gesamtbewertung werden daher alle Bereiche eines Unternehmens (z.B. Beschaffungs- und Absatzbeziehungen, Forschung und Entwicklung, etc.) erfasst, da diese Unternehmensbereiche gemeinsam zu den zukünftigen finanziellen Überschüssen beitragen. Durch das Zusammenwirken der einzelnen Vermögensgegenstände und Schulden sowie der Geschäftsbereiche ergeben sich regelmäßig Synergien, die zu einem Mehrwert gegenüber den isoliert betrachteten Werten der einzelnen Bestandteile des Vermögens und der Schulden führen. Solche Mehrwerte liegen bei vermögensverwaltenden Gesell-schaften hingegen meistens nicht vor. „Synergien“ durch ein Zusammenwirken von verschiedenen Kapitalanlagen, die über eine Risikostreuung hinausgehen, sind regelmäßig nicht gegeben. Bei einer Bewertung auf Basis einer Gesamtbewertungsmethode muss der Bewerter jedoch eine Vielzahl von Problemen lösen, die in Abhängigkeit des Einzelfalls auch zu erheblichen Fehlbewertungen führen können und somit besondere Schwierigkeiten verursachen.
In dem Beitrag beschäftigt sich Andreas Creutzmann mit folgenden Besonderheiten beim NAV:
- Bewertungsstichtag und Aufzinsung
- Bewertung der Immobilien
- Bewertung von Beteiligungen
- Bewertung von Wertpapieren und Forderungen
- Bewertung von Verbindlichkeiten und Pensionsrückstellungen
- Berücksichtigung von Steuern
- Berücksichtigung der Verwaltungskosten
- Bewertung im Rahmen von aktienrechtlichen Strukturmaßnahmen
Der NAV wird nach wie vor in der wissenschaftlichen Diskussion und praktischen Bewertungsliteratur nur selten behandelt. Sowohl auf Ebene der Oberlandesgerichte als auch auf Ebene der Landesgerichte ist zwischenzeitlich die Bewertung einer vermögensverwaltenden Gesellschaft anhand des NAV voll anerkannt und gerichtlich nicht zu beanstanden. Unstrittig sind bei operativ tätigen Gesellschaften nach wie vor die Gesamtbewertungsverfahren zur Ermittlung eines sachgerechten Unternehmenswerts anzuwenden. Bei vermögensverwaltenden Gesellschaften oder Immobiliengesellschaften handelt es sich somit um einen Sonderfall der Unternehmensbewertung, der jedoch kein Einzelfall ist. Eine kritische Auseinandersetzung einzelner Annahmen und Sachverhalte im Zusammenhang mit der Ermittlung eines NAV findet bislang nicht statt. Insofern wäre es wünschenswert, wenn die Wissenschaft und die Praxis sich intensiver mit den Bewertungsannahmen des NAV auseinandersetzen würden.